Es muss wohl im Frühjahr 1987 gewesen sein, als am Vormittag in meiner Praxis das Telefon klingelte. Frau Ziesche, eine erfahrene Chihuahua - Züchterin aus dem Spessart war am Apparat. Sie habe ein Zuchtproblem, sagte sie, und erkundigte sich, ob ich ihr helfen könne. Ich versprach, vorbei zu kommen.

Ich kann mich erinnern, sehr bald vor Frau Ziesches Zwinger gestanden und ihr zugesehen zu haben, wie sie behutsam das Tor öffnete und uns ebenso behutsam herein ließ, während eine unzählige Meute schrill bellender Chihuahuas auf uns zulief und männchenmachend bedeutete, auf den Arm genommen oder gestreichelt zu werden. Eine Spritztour hatte meinen Mann und mich in den Spessart verschlagen und von dort war es nicht mehr als ein sprichwörtlicher Katzensprung zur Hundezucht von Frau Ziesche.

So saßen wir denn bald am Tisch bei Kaffee und Kuchen, und das Geschnatter des neugierigen Rudels aus zwanzig Chihuahuas, die uns mit ihren rund vierzig Augen gleichsam magnetisch ins Visier nahmen, übertönte all das, was Frau Ziesche über die Freuden und Leiden einer Züchterin dieser kleinsten Hunderasse zu erzählen wusste. Dabei stießen wir auch auf die Ursache des Zuchtproblems. Wir fanden einen Weg, so dass die Züchterin die Dinge in Zukunft wieder in den Griff bekam. Es war das erste mal, dass ich eine Chihuahua - Zucht besichtigen konnte. Hätte mir damals jemand zugeflüstert, ich selbst würde dereinst einmal von einer fast ebenso großen eigenen Meute in den Bann genommen und beherrscht werden, so wäre dieser Gedanke damals von mir zumindest als surrealistisch empfunden worden.

Der tägliche Umgang mit Tieren in der Praxis lehrte mich,wie viel Aufwand an Pflege und Zuwendung ein Hund erforderte. Deshalb wollte ich nicht mehr als einen Hund haben, und dieser eine Hund, unsere Dalmatinerhündin Tara, wartete draußen im Auto. Ein Grund mehr, den Besuch bei Frau Ziesche nicht in die Länge zu ziehen und Abschied zu nehmen. Doch da geschah, bevor wir uns die Hände reichten, etwas Ungewöhnliches: Frau Ziesche entschuldigte sich für einen Moment und kam bald darauf wieder mit einem etwa 10 Wochen alten Chihuahua-Welpen, einer Hündin,

Chicca, auf dem Arm zurück. "Nehmen Sie sie", sagte die Züchterin offenherzig und streckte mir den Winzling hin. Als ich abwehrte, wiederholte sie, mit Nachdruck, "So nehmen Sie sie doch, als Zeichen des Dankes, sie ist eine Kostbarkeit." Frau Ziesches Großzügigkeit schien außergewöhnlich, aber ich war nicht bereit, einen zweiten Hund zu haben und sei er noch so wertvoll. Ich bat um Verständnis. Die Züchterin schickte sich schon an, den beige-weiß gescheckten Welpen wieder zu seinem Platz zu bringen, als zu meiner nicht geringen Überraschung mein Mann vom Tisch aufstand, auf Frau Ziesche zuging und sagte: "Bitte geben sie die Hündin mir, ich werde mich um sie kümmern, bitte..." Und im Nu hatte er sie auf dem Schoß.

Ich wollte meinen Mann nicht vor den Kopf stoßen, deshalb verzichtete ich auf Einwände. Nun gut, sagte ich, wir werden ja sehen; dabei durchzuckte mich der Gedanke, ob unsere Dalmatiner-Hündin die Kleine überhaupt akzeptieren würde. Im Auto dann kam der Augenblick der Wahrheit: Beide Hündinnen gingen neugierig auf einander zu, berochen sich mit prüfenden Nasen, wedelten schließlich kompromissbereit mit dem Schwanz und leckten sich ab. Nach dieser Begrüßungszeremonie gehörte der Gedanke an nur einen Hund unwiderruflich der Vergangenheit an. Ich hatte das Gefühl, von nun an würde alles bei uns im Zeichen der Wechselbeziehungen zwischen dem ungleichen Gespann, unserer großen Tara und der kleinen Chihuahua - Hündin stehen. Ich sollte mich nicht täuschen. Vielleicht erzähle ich in ihrer Gänze ein andermal auch diese Geschichte, die innerhalb von drei Jahren zur Entstehung von fast filmreifen Szenen führte; hier seien einige Besonderheiten herausgegriffen um zu sagen: Chicca, so nannten wir die Kleine, brachte nicht nur eine angenehme Abwechslung in unser Leben, sie setzte auch die schon etwas behäbig gewordene, ältere Tara in Trab und stachelte zudem auch unseren Kater Frederik zu neuen Taten an.