Ich komme auf den kleinsten Hund
Wie ich auf den kleinsten Hund gekommen bin? Obwohl sich seit 10 Jahren schon unsere Dalmatinerhündin Tara zuhause eingebellt und verwurzelt hatte? Eine gute Frage!
Vor diesem Hintergrund jetzt rasch passende Daten und Fakten zu nennen und keine Antwort schuldig zu bleiben, wäre wohl das einfachste. Aber das will ich nicht. Denn dabei müssten gerade jene Details ausgelassen werden, die letztlich dafür den Ausschlag gaben, dass die Chihuahuas mich in ihren mächtigen Bann schlugen, aus dem ich mich bis heute nicht lösen konnte. Übrigens, den Gedanken, Chihuahuas zu züchten, ja überhaupt Hunde zu züchten, hätte ich damals weit von mir gewiesen. Die tägliche Behandlung von Katzen, Hunden, Frettchen, Hamstern, Meerschweinchen, Mäusen und Vögeln vermittelten mir so eingehend Kontakt zu Tieren und zuweilen derart weitreichende Einblicke in die Welt von deren Besitzern, dass ich mich in der Hinsicht mehr als ausgelastet fühlte. Aber wie immer im Leben kam auch hier alles anders, als ich gedacht hatte. Doch bleiben wir bei der Sache. Der springende Punkt ist hier die Frage, wie es dazu kam. Die Antwort sind Ereignisse aus rund dreizehn Jahren. Sie sind jetzt etwas, das Vergangenheit heißt und sie werden in einem bestimmten Sinn auch romantisch, denn sie hatten alle einen Anfang und ein Ende: eben das Jetzt. Darum sind sie wie eine Geschichte. Und wie bei jeder Geschichte ist auch hier der größte Zauber, dass wir sie erlebt haben und sie jetzt in ihrer Gänze genießen: Als authentische Geschichte voll spannender Augenblicke und Einzelheiten aus dem Leben meiner Hunde, in der keine darin vorkommende Figur erfunden ist. Fürs erste will ich mich aber nur auf einige wenige Episoden beschränken, die erhellen, wie und warum ich unter die Züchter gegangen bin.
Chicca
Es muss wohl im Frühjahr 1987 gewesen sein, als am Vormittag in meiner Praxis das Telefon klingelte. Frau Ziesche, eine erfahrene Chihuahua - Züchterin aus dem Spessart war am Apparat. Sie habe ein Zuchtproblem, sagte sie, und erkundigte sich, ob ich ihr helfen könne. Ich versprach, vorbei zu kommen.
Ich kann mich erinnern, sehr bald vor Frau Ziesches Zwinger gestanden und ihr zugesehen zu haben, wie sie behutsam das Tor öffnete und uns ebenso behutsam herein ließ, während eine unzählige Meute schrill bellender Chihuahuas auf uns zulief und männchenmachend bedeutete, auf den Arm genommen oder gestreichelt zu werden. Eine Spritztour hatte meinen Mann und mich in den Spessart verschlagen und von dort war es nicht mehr als ein sprichwörtlicher Katzensprung zur Hundezucht von Frau Ziesche.
Tara
Bei aller Verschiedenheit in der Größe und im Wesen, hatten beide eines gemeinsam: Chicca fühlte sich keineswegs wehrlos und Tara bestätigte sie darin, je mehr sich die Kleine mit ihr verbunden fühlte und in ihrem neuen Zuhause Wurzeln schlug. Es dauerte nicht lange, da hatte sie sich vollends eingelebt und trug eine Unbekümmertheit zur Schau, die exemplarisch schien. Im Verhältnis zu Tara legte sie mit der Zeit eine geradezu verdächtige Sicherheit an den Tag, die mich stutzig machte. Zwischen den beiden war etwas im Gang, das sich meiner Aufmerksamkeit bislang entzog. Ich beschloss dahinter zu kommen was es damit auf sich hatte. Ich fütterte die Hunde gewöhnlich in der Frühe kurz vor 9 Uhr, bevor ich in die Praxis ging. An einem Mittwoch jedoch kam ich nicht mehr dazu, weil ich einen Notfall hatte, und versorgte die Tiere erst nach 12 Uhr, als ich wieder zu Hause war. Und weil ich Mittwochnachmittag keine Sprechstunde hielt, versuchte ich mich gleich nach der Fütterung auf der Terrasse zu erholen. Tara hatte ihren Napf in der Küche, Chicca im Esszimmer. Die halbgeöffnete Terrassentür gab den Blick auf die Näpfe beider Tiere frei.
Maja
Im ersten und im zweiten Jahr, nachdem Chicca zu uns gekommen war, hatte ihre Anwesenheit wie eine Verjüngungskur auf Tara gewirkt; das blieb uns nicht verborgen. Zwar war sie nie träge, doch wurden ihre Bewegungen zusehends elastischer, der Schritt flinker, voller Behändigkeit; es war, als erlebte sie noch einmal ihre Jugend. Diese Zeit war eine große Genugtuung für uns. Doch in die innere Befriedigung mischte sich später allmählich auch Nachdenken, als wir sahen, dass sich der Altersunterschied zwischen den beiden bei Tara doch schleichend bemerkbar machte und Chiccas Temperament die Dalmatinerhündin nicht mehr so mitreißen konnte.
Tara gab zwar nicht auf, sie tat sich aber immer schwerer damit, Chiccas Aufforderungen zum Spiel zu genügen. Vielleicht war dies ein Grund, weshalb wir mit dem Gedanken spielten, uns eine zweite Chihuahua-Hündin anzuschaffen, die Chicca von Tara ein wenig ablenken würde.
Trauer
Wie manch Schönes und Angenehmes im Leben, sollte auch dies nur von kurzer Dauer sein und bald ein jähes Endes nehmen. Kaum waren wenige Wochen vergangen, starb Tara ganz plötzlich. Auf einmal hatte sie begonnen hinfällig zu werden, aß immer weniger und verließ selten ihr Lager. Dabei zeigte sie uns gegenüber eine Anhänglichkeit wie wir sie bislang bei ihr nicht kannten. Sie verhielt sich, als wollte sie von jedem einzelnen Abschied nehmen und das tat sie wohl auch. Dieser Gedanke war mir gekommen, nachdem Tara sich hin und wieder aufgerafft hatte, sich vom Lager erhob, mühevoll über den Hof zur Garage ging, vor deren geschlossenen Tür eine Zeitlang verharrte und danach, ebenso angestrengt, wieder auf ihren Platz zurück kam. Es gab keinen Zweifel: Die treue Tara wollte sich auch von meinem Mann verabschieden; sie war es gewohnt, ihn tagaus tagein von der Garage abzuholen. Immer wenn sie das ihr bekannte Geräusch des Wagens vernahm, der über den Hof fuhr, eilte sie zur Garage hin, um ihn von dort ins Haus zu begleiten. Diesmal gab es keine Wagengeräusche. Ihr Herrle, auf das sie wartete, befand sich auf einer Dienstreise. An jenem Tag legte sie den mühsamen Weg zwischen Haus und Garage etliche Male zurück. Als auch der letzte Gang vergebens war, ging sie schon nicht mehr ins Haus, sie schleppte sich mit letzter Kraft in den davor liegenden Garten. Dort legte sie sich am Zaun auf Grasbüscheln wie zum Sterben hin. Als wir sie holen wollten, rang sie mit dem Tod und kam nicht mehr zu sich.
Suche
Nachdem ich mich in den alten Bundesländern bei Züchtern umgesehen und umgehört hatte und nichts Vergleichbares fand, folgte ich dem Rat eines Insiders, es doch einmal in den neuen Bundesländern zu versuchen. Bis dahin war mir nicht bekannt, dass es auch dort schon zu DDR - Zeiten, erprobte Züchter von Chihuahuas gab.
So ließ ich es mir nicht nehmen, während einer Reise durch die neuen Bundesländer einen Abstecher ins ostthüringische Gera zu machen, um in der Chihuahua - Zucht der Familie Pleyer, "Bei den Poltergeistern" - so heißt deren Zwinger- nach einer Hündin Ausschau zu halten, die mich an Chicca erinnerte. Frau Pleyer widmete uns viel Zeit; es war für mich eine angenehme Überraschung, ihre schönen und gepflegten Hunde zu besichtigen. Da Chicca rot-weiß gescheckt und ich auf diese Färbung eingeschworen war, suchte ich unter den Tieren sofort nach einer ähnlichen. Aber bei Familie Pleyer überwogen damals Hunde mit dunkler bis schwarz-weißer Scheckung - eine rot-weiße war nicht dabei, sonst hätte ich, falls eine zu verkaufen gewesen wäre, sie bestimmt sofort mitgenommen; das Wesen der Hunde von Familie Pleyer sprach mich an.
Zuchtbeginn
Eines Tages, im Spätherbst 1991 - ich war schon im Begriff, erneut im Sachen Hund zu verreisen - kam mir der Gedanke, ich könnte mir doch selber eine solche Hündin herauszüchten. Gewiss, warum sollte ich es nicht versuchen? Doch mit Maja, meiner einzigen Chihuahua - Hündin allein, war mir das Risiko zu groß. Da müsste, dachte ich, noch eine zweite Hündin her und die könnte mir einer der Züchter, die ich mittlerweile kennen gelernt hatte, sicher besorgen.