Im ersten und im zweiten Jahr, nachdem Chicca zu uns gekommen war, hatte ihre Anwesenheit wie eine Verjüngungskur auf Tara gewirkt; das blieb uns nicht verborgen. Zwar war sie nie träge, doch wurden ihre Bewegungen zusehends elastischer, der Schritt flinker, voller Behändigkeit; es war, als erlebte sie noch einmal ihre Jugend. Diese Zeit war eine große Genugtuung für uns. Doch in die innere Befriedigung mischte sich später allmählich auch Nachdenken, als wir sahen, dass sich der Altersunterschied zwischen den beiden bei Tara doch schleichend bemerkbar machte und Chiccas Temperament die Dalmatinerhündin nicht mehr so mitreißen konnte.

Tara gab zwar nicht auf, sie tat sich aber immer schwerer damit, Chiccas Aufforderungen zum Spiel zu genügen. Vielleicht war dies ein Grund, weshalb wir mit dem Gedanken spielten, uns eine zweite Chihuahua-Hündin anzuschaffen, die Chicca von Tara ein wenig ablenken würde.

Keine drei Monate darauf erhielten Chicca und Tara neue Hundegesellschaft. Auf der Internationalen Rassehundeausstellung in München bot sich mir 1990 die Gelegenheit, Hans Lüger, einen renommierten Züchter kennen zu lernen. Er führte in Gladbeck den Chihuahua - Zwinger "Haus Wittringen". Aus seiner Zucht stammte die drei Monate alte Maja, die Ende Dezember 1990 zu uns kam. Kaum war sie da, bekamen wir und die beiden anderen Hunde ihren eigenen Willen zu spüren: Temperamentvoll war sie manch­mal, zornig aufbrausend, dann aber plötzlich sanft und anschmiegsam oder getrieben von verspielter Gelassenheit. Damit verschaffte sie sich in den Augen der beiden anderen Hunde­damen sehr bald eine gehörige Portion Respekt, ohne jedoch deren Autorität und Heimvorteil in Frage zu stellen. Maja schien fürs Gemüt von Tara und Chicca wie ge­schaffen; sie stellte eine Art Balance zwischen den beiden her, eine Einheit in der Ver­schiedenheit. Seitdem war bei uns nur noch Rede von der "Trojka". Je länger Maja bei uns war, desto enger knüpften sich die Bande zwischen den beiden Chihuahua-Hündinnen. Bald galten sie als unzertrennlich. Dies geschah jedoch ohne dass die Dalmatinerhündin ins Abseits gedrängt worden wäre. Das Gegenteil war der Fall. Geändert hatte sich nur die Konstellation: Als ob es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den Dreien gab, übernahm Tara, gleichsam unbemerkt, Zollbreit um Zollbreit die schützende Aufsicht über die zwei Winzlinge und deren unbekümmerten Schabernack.

Auch Hunde brauchen nicht nur Fleisch und Trockenfutter, sondern ab und zu was fürs Gemüt. Und so schien es ihnen bei ihrem Spiel wichtig, robbenartig über Taras Bauch zu kriechen, wenn diese sich in ihrem Korb räkelte, sie an den Zitzen zu zupfen, in den Schwanz zu beißen oder an den Ohren zu ziehen. Tara schien diese Attacken offenbar zu genießen. Erst dann, wenn ihre Schützlinge es gar zu bunt trieben, gab sie es ihnen hin und wieder durch ein bedeutungsvolles Brummen zu verstehen, welches sich stets in der gleichen Tonart hielt: zwei bis drei Mal - ja das war wohl ihre übliche Tagesration in Moll. Wer ihnen nur ein paar Minuten zuschaute, konnte, je nach den Erfahrungen, die er gerade gemacht hatte, auch seine Freude am Umgang mit Menschen wieder herstellen, so müßig das manchmal auch sein mochte.

Nach und nach gewöhnten wir uns an diesen Zeitvertreib so sehr, dass er fast zu einem unverzichtbaren "Luxus" der Seele wurde.